Psychologie des Alternativen Wirtschaftens – Kongress zur Förderung von alternativen Wirtschaftskonzepten an der Hochschule und ihrem Umfeld

Der 59. IPU-Kongress fand vom 06. bis 09. Oktober 2022 statt.

Bericht

Warum brauchen wir Alternatives Wirtschaften – an Hochschulen und ihren Umfeldern? Was für konkrete Konzepte gibt es, die wir bottom-up anwenden können, um in studentischen Initiativen und im Studienalltag bedürfnisorientiert und gemeinschaftsbasiert zu wirtschaften? Wie können Studierende diese Konzepte  fördern, an Hochschulen bringen, ausprobieren und erlebbar machen?

Vom 06.- 09. Oktober 2022 trafen sich im Rahmen des Kongresses etwa 40 Studierende und 20 Wissenschaftler:innen, Berufspraktiker:innen und an der Umweltpsychologie interessierte Menschen aus Deutschland, die zu diesen Fragen diskutierten, lernten und Visionen einer nachhaltigen Zukunft entwickelten. 

Im Rahmen des Kongresses beschäftigten wir uns mit ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Wirtschaftskonzepten und den sich daraus ergebenden Optionen und Konsequenzen für Veränderungen im Kontext von Studierenden.

Warum ist Alternatives Wirtschaften insbesondere an Hochschulen als Vorreiter von progressivem institutionellem Verhalten von besonderer Bedeutung?

Auf diese Frage geben sich die Hochschulen prinzipiell schon selbst in ihren Hochschulgesetzen Antworten, wie z. B. im Berliner Hochschulgesetz, welches in §4 Absatz 3 die Aufgaben von Hochschulen definiert: „Die Hochschulen tragen mit ihrer Forschung und Lehre zum Erhalt und zur Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen bei und berücksichtigen dabei insbesondere sozial-ökologische Fragestellungen […] und die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung. Hierzu geben sich die Hochschulen ein Nachhaltigkeitskonzept.“ Die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung beschreibt Carnau (2011) als die Entwicklung eines ökologisch, sozial und ökonomisch ausgewogenen Systems, das langfristig Bestand hat. 

Ziel des Kongresses war es, dieses ökonomische System der Zukunft von einer jungen Generation entwickeln zu lassen, deren Vernetzung und Ausbildung zu diesem Thema wir in der Pflicht einer jeden Hochschule sehen.

Konkreter hieß das: 

Wie können Teilnehmende, insbesondere Studierende, ihre Kosten neben dem Studium finanzieren? Was gibt es neben BAföG für Möglichkeiten, Verpflegungskosten (wie z.B. in der Mensa), Wohnungskosten und sonstige Kosten, die während des Studiums anfallen, zu decken? Insbesondere zur Erleichterung der Studienfachwahl (für verschiedene Masterstudiengänge) und der Entscheidung zwischen Hochschulen wurde die interdisziplinäre Vernetzung gefördert.

Der inhaltliche Kern des Kongresses wurde anhand der vier nachfolgend erläuterten Formate gestaltet:

 1. Inhaltlicher und wissenschaftlicher Einstieg in das Thema Commons, Care und Kritische Psychologie zur Unterstützung der Bewältigung des Studienalltags

 2. Workshops mit wissenschaftlichem Input (u.a. zu Gleichstellungsthemen)und anschließender Möglichkeit für hochschulbezogene/-politische Fragen der Teilnehmenden

 3. Vernetzung von Studierenden unterschiedlicher Hochschulen und Fachrichtungen auf der Basis eines Themenschwerpunkts (Alternatives Wirtschaften): Studierende der Physik, Geologie, Geographie, Psychologie, Soziologie, Medizin, Ethnologie, Politikwissenschaften, Transformationsstudien waren da, um gemeinsam Wissen und unterschiedliche disziplinäre Perspektiven zusammenzutragen und zu diskutieren. Außerdem hat ein Austausch zwischen studentischen Initiativen stattgefunden und es konnte sich durch die Interdisziplinarität zu themenbezogenen Praktika und der Studienfachwahl (insbesondere Masterstudiengänge) ausgetauscht werden.

 4. Offene Formate zur Reflexion von Handlungsoptionen von Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen sowie Ausarbeitung von eigenen Ideen und Konzepten rund um die Anwendung des Wissens in studentischen Gruppen und Projekten.

Konkret gab es folgende Überthemen für die einzelnen Workshops und Angebote:
Keynote: Inhaltlicher Einstieg in das Thema Alternatives Wirtschaften und der Bezug zu kritischer Psychologie, feministische Perspektiven und Geschlechtergleichstellung in Gruppen sowie in Institutionen mit anschließender Diskussion zur Anwendung im Hochschulkontext
Workshop-Phasen 1, 2 und 3: Psychologische Grundzüge des solidarischen nachhaltigen Wirtschaftens auf Gesellschaftsebene mit Anwendungsanregungen auf Hochschulebene
Workshop-Phasen 4 und 5: Transformation – was können wir als Studierende für mehr solidarische und nachhaltige Wirtschaftskonzepte in ihrem Umfeld tun? Wo liegt die Verantwortung insbesondere von Studierenden?
Workshop-Phasen 6: Open Space (selbstorganisiert), Vernetzung von Studierenden, Vorstellung eigener studentischer Gruppen und Projekte

Die Teilnehmenden wurden zwischen den Workshops dazu eingeladen, über die Verhältnisse in ihrem Studiumsalltag an ihren jeweiligen Hochschulen und ihr bisheriges Engagement zu sprechen, um die Motivation für politische Teilhabe an Hochschulen (wie z.B. Fachschaftsarbeit, studentische Initativen, etc.) zu fördern.

Folgende Referierende aus psychologischen Arbeitsgruppen und interdisziplinären Fachbereichen deutscher Hochschulen leiteten die einzelnen Workshops:
Dr. Laura Henn (Uni Kassel); Simon Sutterlütti (Commons-Institut); Jochen Dallmer (freier Dozent); Timo Wans (Myzelium); Sarah Ackerbauer (Commons-Sommerschule); Matthias Neumann (Care Revolution); Johannes Euler (Commons-Institut); Franziska Stromberg (FranzWerk); Sarah Schöne (Akademie für angewandtes gutes Leben); Paul Hofmann (SoLaWi Bio-Hof Sonnenwald); Heike Pourian (Sensing the Change).

Ablauf:

Donnerstag
Eingeleitet wurde der Kongress durch eine Postersession beim Ankommen der Teilnehmenden. Die Studierenden wurden dazu eingeladen, auf Postern anzugeben, wo sie studieren und leben, welches Fach und welchen Studiengang sie studieren und in was für (studentischen) Initiativen sie vernetzt sind und wie dort ihr Umgang mit dem Kongressthema „Alternatives Wirtschaften“ ist. Dadurch sollte eine erste interdisziplinäre Vernetzung unter verschiedenen Studiengängen und Initiativen erreicht werden.

Nach dem Abendessen gab es eine Begrüßung durch das Organisationsteam und ein intensiverer Austausch in Kleingruppen zum Kennenlernen. Die Studierenden unterschiedlicher Fachrichtung konnten sich besser kennenlernen und in Bezugsgruppen über den Kongress hinweg in Kontakt bleiben, um gemeinsam zu erörtern, wie sie das neue Wissen in ihren Studienalltag integrieren können. 

Danach folgte der Keynote-Vortrag von Simon Sutterlütti mit einem inhaltlichen Einstieg in das Thema Commons, Care und Kritische Psychologie mit anschließender Diskussion zur Anwendung im Alltag von Studierenden (Do., 20 – 21:45 Uhr): Wie könnte eine alternative Wirtschaft aussehen? Wie kann Inklusion und Gerechtigkeit, statt Ausbeutung und Exklusion an öffentlichen Institutionen wie Hochschulen gelingen? Warum sind Studierende in der Verantwortung, dieses auszutesten und auszudehnen?
Für Austausch, Feedback und Abschluss der Keynote-Session wurden interaktive Formate sowohl in Groß- als auch Kleingruppen angewandt. 

Freitag

Workshop-Phase 1, 2 und 3 (Freitag, 9:45-12:45 Uhr und 15:00-18:00 Uhr) befassten sich mit dem Thema: „Psychologische Grundzüge des solidarischen nachhaltigen Wirtschaftens mit Anwendungsanregungen auf Hochschulebene“

 Jochen Dallmer: 

  • Welche psychologischen Konzepte von Glück und Wohlstand kennen die Studierenden aus ihrem Studium?
  • Was konkret beutet für sie im Studienalltag Glück und wie hängt das mit Geld zusammen?
  • Insbesondere Studierende sind häufig finanziell belastet – was für eine Auswirkung hat das auf ihre Psyche und letztlich auch auf ihre Leistungsfähigkeit?

Simon Sutterlütti: 

  • Fragen zu verschiedenen Aspekten der Alternativen Wirtschaft und Psychologie, wie z.B.: „Welche Rolle sollten staatliche Institutionen wie Hochschulen beim Klimaschutz leisten?“ oder „Wie viel Commoning erlebe ich in meinen studentischen Initiativen?“
  • Impuls zu Kritischer Psychologie und Care, u.a. „Wie viel Pathologisierung brauchen wir?“ und „Wie belastet sind wir als Studierende – was bräuchte es für Fürsorge- und Unterstützungssysteme?“
  • Commoning: Commoning ist eine Nischenform. Können Studentische Initiativen und Fachschaften als Nische begriffen und daher Commoning betreiben? Wie gelingt der Transfer?

Timo Wans:

  • Wie geht gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften? Können Studierende ihre soziale Belange wie z.B. Wohnungsmieten oder Verpflegungskosten gemeinschaftsbasiert erwirtschaften?
  • Welches Bedürfnis wollen sich die Teilnehmenden decken? Wie können sie das mithilfe von anderen Nutzer*innen decken? Beispiel: Solidarische Bieter*innenrunden
  • Welche Gründungsideen haben Studierende und lassen diese sich Gemeinschaftsbasiert umsetzen?
  • Dabei wurde die Möglichkeit diskutiert wie ein gemeinschaftsbasiertes Cafe auf dem Uni-Campus in Freiburg aussehen könnte.
  • Erarbeitung eines Konzeptes für gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften für Psychotherapeut*innen: Wie könnte jetzt schon während dem Studium eine solche gemeinschaftsbasiert wirtschaftende Sozial- und Gesundheitsversicherung aussehen? 

Sarah Ackerbauer: 

  • Zuerst wurden die Forschung und Arbeit der Autorin und Wissenschaftlerin Silke Helfrich vorgestellt die besonders das Konzept der „Gemeingüter“ bearbeitet hat
  • Studierende befassten sich mittels Creative Writing mit den Fragen „Wie wirtschafte ich jetzt im Studiumsalltag und in meinen Initiativen?“ und „Was daran lässt mich verzweifeln?“
  • Dabei wurden besonders Hindernisse und Widerstände erarbeitet, die einem im Weg stehen beim eigenen Wirtschaften.
  • Viel Austausch in Kleingruppen über diese Fragen und Übungen zum Nachspüren: „Wo ist in diesen Initiativen und in meinem Studiumsalltag ökonomische Veränderung möglich?“
  • Vision, Vorhaben und Commitment: Die Studierenden setzten sich klare Vorhaben, wie sie Institutionen wie Hochschulen freiheitlich demokratisch durch alternative Wirtschaftskonzepte mit prägen können

Am Freitagabend fand dann noch die konkrete Anwendung einer solidarischen Finanzierung statt, nämlich in Form der Kongressfinanzierung. Die Teilnehmenden zahlten bei ihrer Anmeldung einen Teilnahmepfand von 50 Euro und konnten während des Kongresses auf einer moderierten Bietrunde (gemeinschaftsbasiertes Wirtschaftskonzept) ihren Kongressbeitrag abhängig von ihren Ressourcen frei bestimmen.

Auf diese Weise konnten die Teilnehmenden erfahren, wie sich das Konzept anfühlt und wie es sich in der selbstorganisierten Studienfinanzierung anwenden ließe.

Samstag

Workshop-Phase 4 und 5 (Samstag, 9:45-12:45 Uhr und 15:00-18:00 Uhr) befassten sich mit dem Thema „Transformation – was können wir als Studierende für mehr solidarische und nachhaltige Wirtschaftskonzepte in ihrem Umfeld tun? Wo liegt die Verantwortung insbesondere von Studierenden?“

 Dr. Laura Henn: 

  • Was bedeutet eigentlich Suffizienz (sinngemäß „Genügsamkeit“) als psychologisches Konstrukt? Was sind aktuelle Forschungsergebnisse dazu?
  • Wie ist Suffizienz für Studierende praktisch erfahrbar? Wo beeinflusst uns Suffizienzwirtschaft in unserem Studienalltag?
  • Welche Herausforderungen entstehen außerdem in der wissenschaftlichen Tätigkeit an Hochschulen? Gibt es thematisch bedingten Publikationsdruck und was bedeutet das für Studierende?

 Matthias Neumann: 

  • Einführung in die Care-Ökonomie: Zustand und Alternativen
  • meist unentlohnte Mehrarbeit in der Care-Arbeit wirkt sich auch negativ auf die mentale Gesundheit von Studierenden aus (z.B. Pflege von Eltern, Kinderbetreuung etc. neben dem Studium)
  • Wie kann Care-Arbeit unter den Studierenden und Teilnehmenden in Zukunft solidarisch gestaltet werden und was heißt das für soziale Versicherungssysteme im und nach dem Studium?

 Johannes Euler

  • Commoning angewandt:
  • Konkrete Beispiele für Commons (Gemeingüter) sind Bibliotheken, Unigärten oder auch WG-Küchen.
  • Diese gemeinsamen Ressourcen zu nutzen und langfristig in gutem Zustand zu erhalten ist durch verschiedene sozialpsychologische Dynamiken oft herausfordernd
  • Eine sogenannte Mustersprache des Commoning soll helfen, den Herausforderungen beim Commoning zu begegnen

Franziska Stromberg: 

  • Vorstellung eines alternativen Co-Working-Konzepts
  • Es wurden konkrete Einblicke in die Realität eines gemeinschaftsbasiert wirtschaftenden Commons möglich
  • In Kleingruppen wurde daran gearbeitet, wie das vorgestellte Konzept auf den Alltag der Studierenden übertragbar ist und wie Bietrunden im studentischen Kontext angewandt werden können
  • Die Möglichkeiten des solidarisch finanzierten Co-Working waren für Studierende von Interesse, die zunehmend außerhalb von Büros arbeiten (wie es bei vielen studentischen Hilfskräften der Fall ist) und denen eine ablenkungsfreie und motivierende Arbeitsumgebung zu Hause fehlt.

Sarah Schöne:

  • Die Studierenden konnten die bisherigen Kongresseindrücke, die v.a. aus theoretischem Input und fordernden Diskussionen bestanden, sortieren, verkörpern und verknüpfen. 

Workshop-Phase 6: Open Space
Im Open Space wurden die Teilnehmenden selbst aktiv und konnten eigene Projekte vorstellen,
Diskussionsrunden leiten, bestimmte Fertigkeiten oder Fähigkeiten an andere Teilnehmende
weitergeben oder Kampagnen für ihre Hochschulen planen. Im Rahmen des Open Space wurden (hochschulpolitische) Initiativen vorgestellt, die sich vernetzen konnten.

Darüber hinaus wurden Perspektiven aus einer Wissenschaftlichen Karriere durch Laura Henn geteilt; sie erzählte, welche Aussichten und Herausforderungen eine Laufbahn an der Universität bietet. U.a. wurde diskutiert, welche Rolle HiWi-Jobs oder wissenschaftliche Publikationen von Studierenden bei der Vorbereitung auf Promotionsstellen spielen können.

Ein weiterer Kreis an Menschen beschäftigte sich mit nachhaltigem Investment. Dabei ging es darum, zu evaluieren, welche Kosten man zurzeit als Studierende trägt und welche Finanzierungsmodelle es im nachhaltigen Sektor gibt. Besonders wurden hierbei auch die Hürden und Unsicherheiten abgebaut, über Geld zu sprechen und sich finanziell beraten zu lassen.

Sonntag

Zum Abschluss haben wir eine gemeinschaftliche Abschlussreflexion eingebaut. Nach dem Frühstück fanden sich die Kongressteilnehmenden hierzu zusammen (Sonntag, 9:45 — 12:45 Uhr). 
Diese hatte die Funktion, das Erlebte zu reflektieren und zu integrieren. Weiter haben sich die Teilnehmenden in Kleingruppen dazu verabredet, Handlungsvorhaben abzusprechen, also was sie von dem Gelernten in ihr aktuelles Leben und Studium mitnehmen wollen und woran sie sich gegenseitig erinnern wollen. Hierbei wurden mit den Methoden des aktiven Zuhörens und des „Common Space“ gearbeitet. Durch diese Methode können aktive Handlungsansätze aus dem Kongress besonders einprägsam in den Alltag und das Engagement der Studierendenan die Hochschulen und darüber hinaus getragen werden. Außerdem war Platz für Feedback und ein gemeinsamer Abschluss des Kongresses wurde gestaltet.

Kurzbericht des Kongresses im Rahmen der Förderung durch das BMBF: Steckbrief_Ergebnisverwertung_FR_22_23_final

Der Kongress fand in Schernbach (Nordschwarzwald) statt. Dort waren wir zu Gast bei der Gemeinschaft Sonnenwald (ehemals „Akademie für angewandtes gutes Leben“), die selbst solidarisch wirtschaftet.

Es gab Möglichkeiten , die Gemeinschaft sowie deren Projekte wie z.B. die preisgekrönte Pionierarbeit zur regenerativen Agroforstwirtschaft kennen zu lernen.

Dieser Kongress wurde gefördert von: