Psychologie des Alternativen Wirtschaftens – Kongress zur Förderung von alternativen Wirtschaftskonzepten an der Hochschule und ihrem Umfeld
Der 59. IPU-Kongress fand vom 06. bis 09. Oktober 2023 statt.

Bericht
Warum brauchen wir Alternatives Wirtschaften – an Hochschulen und allgemein? Welche psychologischen Faktoren gibt es, die die Umsetzung von Alternativen Wirtschaftsweisen fördern oder verhindern? Was hat Geld mit Glück zu tun? Was für konkrete Konzepte gibt es, die wir bottom-up anwenden können, um z.B. in unseren studentischen Initiativen bedürfnisorientiert und gemeinschaftsbasiert zu wirtschaften? Wie können wir diese Konzepte an unserer Hochschule ausprobieren und erlebbar machen?
Antworten auf diese Fragen, die den Rahmen des Kongresses bildeten, wurden in verschiedenen Formaten diskutiert:
- Inhaltlicher Einstieg in das Thema Commons, Care und Kritische Psychologie (Keynote)
- Workshops mit wissenschaftlichem Input und anschließender Diskussion, wie sich das neue Wissen in die eigene Hochschule einbringen ließe
- Offene Formate, welche den Teilnehmenden mehr Gestaltungsspielraum für eigene Ideen und Konzepte im Studium und Ehrenamt geben sollen
- Abschlussreflexion und Handlungsoptionen für den Alltag
Konkret gab es folgende Überthemen für die einzelnen Workshops und Angebote:
- Keynote: Inhaltlicher Einstieg in das Thema Alternatives Wirtschaften und der Bezug zu kritischer Psychologie
- Workshop-Phasen 1, 2 und 3: Psychologische Grundzüge des solidarischen nachhaltigen Wirtschaftens auf Hochschul- und Gesellschaftsebene
- Workshop-Phasen 4 und 5: Transformation – was können wir als Studierende für mehr solidarische und nachhaltige Wirtschaftskonzepte an Hochschulen und darüber hinaus tun?
- Workshop-Phasen 6: Open Space (selbstorganisiert) – hier wurden z.B. Projekte vorgestellt und offene Diskussionsrunden veranstaltet
Folgende Referierende aus psychologischen Arbeitsgruppen und interdisziplinären Fachbereichen deutscher Hochschulen leiteten die einzelnen Workshops:
Dr. Laura Henn (Uni Kassel); Simon Sutterlütti (Commons-Institut); Jochen Dallmer (freier Dozent); Timo Wans (Myzelium); Sarah Ackerbauer (Commons-Sommerschule); Matthias Neumann (Care Revolution); Johannes Euler (Commons-Institut); Franziska Stromberg (FranzWerk); Sarah Schöne (Akademie für angewandtes gutes Leben); Paul Hofmann (SoLaWi Bio-Hof Sonnenwald); Heike Pourian (Sensing the Change).
Insgesamt bot sich eine ausgewogene Mischung aus Theorie und Praxis und wir hoffen, dass alle Inspirationen für den eigenen Alltag und das Studium mitgenommen haben. Im Folgenden seien einige Beispiele genannt. So konnten Studierende, die sich gerne mit ökologischen Geschäftsideen beschäftigen, konkrete Anstöße aus den Workshops von Timo Wans und Franziska Stromberg mitnehmen. Studierende, die Erfahrung mit der Pflege von Angehörigen haben oder generell am Thema interessiert sind, konnten im Workshop von Matthias Naumann neue Sichtweisen auf Care-Arbeit erfahren. Die Gemeinschaft Sonnenwald stellte die eigenen kreativen Ansätze des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und des ökologischen Landwirtschaftskonzeptes dar, was für die Studierenden, die zum Großteil von urbanem Umfeld und den Herausforderungen des WG-Lebens geprägt sind, ein interessanter Einblick war. Laura Henn bot zudem einen offenen Austausch über das Wesen des umweltpsychologischen Wissenschaftsbetriebs an, für Studierende, die sich beruflich in diese Richtung orientieren möchten.
In den Workshop-Phasen wurden wissenschaftliche Aspekte sowie persönliche Erfahrungen im studentischen Engagement zueinander gebracht. Neben den Workshop-Phasen boten Reflexionsrunden, der Markt der Möglichkeiten, der Open-Space, die Lagerfeuerabende und gemeinsamen Mahlzeiten zudem stets Raum für Diskussionen, Austausch und Vernetzung. Auch nach dem Kongress konnten die aus ganz Deutschland angereisten Studierenden über eine eigens eingerichtete Signal-Gruppe in Kontakt bleiben. Es fand zudem einige Wochen nach dem Kongress ein moderiertes Nachbereitungstreffen über Zoom statt. Der viertägige Kongress wurde zu einem intensiven Miteinander von Studierenden, Wissenschaftler:innen und Berufspraktiker:innen unterschiedlicher Fachrichtungen. Angeregt durch die offene und interessierte Atmosphäre nahm ein Großteil der Referierenden das Angebot wahr, die gesamte Kongressdauer vor Ort zu bleiben.
Der Kongress wurde solidarisch finanziert. Die Teilnehmenden zahlten bei ihrer Anmeldung einen Teilnahmepfand von 50 Euro und konnten während des Kongresses auf einer moderierten Bietrunde (gemeinschaftsbasiertes Wirtschaftskonzept aus der solidarischen Landwirtschaft, das wir im Kongress-Kontext mit Erfolg ausprobierten) ihren Kongressbeitrag abhängig von ihren Ressourcen frei bestimmen.
Kurzbericht des Kongresses im Rahmen der Förderung durch das BMBF: Steckbrief_Ergebnisverwertung_FR_22_23_final
Der Kongress fand in Schernbach (Nordschwarzwald) statt. Dort waren wir zu Gast bei der Gemeinschaft Sonnenwald (ehemals „Akademie für angewandtes gutes Leben“), die selbst solidarisch wirtschaftet.
Es gab Möglichkeiten , die Gemeinschaft sowie deren Projekte wie z.B. die preisgekrönte Pionierarbeit zur regenerativen Agroforstwirtschaft kennen zu lernen.
Dieser Kongress wurde gefördert von:


Programm
Eröffnung || Community-Slot
Willkommen, Hintergrund des Kongresses und Einführung in die Community-Slots und Bezugsgruppen.
Das Orga-Team stellt sich vor und möchte Euch kennen lernen!
Keynote & Diskussion || Commons, Care und Kritische Psychologie – Anfänge und Notwendigkeit einer alternativen Wirtschaft - Simon Sutterlütti (Commons-Institut)
Die heutige Wirtschaft zerstört Natur, beutet Menschen aus und setzt demokratischer Gestaltung harte Grenzen. Doch wie könnte eine alternative Wirtschaft aussehen? Eine Wirtschaft, die mit der Umwelt statt gegen sie arbeitet, die Inklusion und Gerechtigkeit, statt Ausbeutung und Exklusion nahelegt, und echte Demokratie erlaubt? Und wie kann die Psychologie dabei helfen, diese Gesellschaft zu beschreiben und zu erreichen?
Workshop || Materieller Wohlstand, Wirtschaftswachstum und Glück - wie hängt das zusammen? - Jochen Dallmer (freier Dozent)
Das derzeitige Wirtschaftsmodell basiert auf dem Paradigma von Wachstum und dem Erschaffen von mehr und mehr materiellem Wohlstand. Das ist ökologisch fatal, aber auch zunehmend dysfunktional: während der Wohlstand weiter steigt, bleibt das Wohlbefinden weitgehend konstant. Was passiert da, wie kam es dazu und was sind Alternativen und Auswege?
Im Workshop blicken wir auf die (historische) Entwicklung des heutigen Wirtschaftsmodell mit seinen Widersprüchen, erarbeiten eine Diagnose des derzeitigen (desolaten) Zustandes und entwerfen Perspektiven und (bessere) Alternativen für ein anderes Wirtschaftsmodell in einer nachhaltigen Welt.
Jochen Dallmer hat Politikwissenschaft, Soziologie und Friedens- und Konfliktforschung in Marburg studiert und als Politikwissenschaftler an der Uni Kassel zum Thema „Glück und Nachhaltigkeit“ promoviert. Er lebt in Berlin und arbeitet derzeit als freier Referent, Facilitator und Berater im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Workshop || Alternative Wirtschaft – Potentiale, Praxis und Psychologie - Simon Sutterlütti (Commons-Institut)
In diesem Workshop wollen wir uns genauer mit der Praxis, der Bedeutung und der Psychologie alternativer Wirtschaft, insbesondere Commons, Care-Ökonomie und solidarischer Ökonomie auseinandersetzen. Wie funktioniert die konkrete Praxis von Commons, Care-Ökonomie und solidarischen Beziehungsweisen? Welche Grenzen haben Keimformen alternativen Wirtschaftens und wie und mit wem könnte sie diese überschreiten? Wie könnten eine global andere Wirtschaftsweise im Detail und der Weg dorthin aussehen? Wie kann hierbei eine gesellschaftskritische Psychologie helfen und welche Bedeutung hat hier psychologische Arbeit?
Workshop || Haltung von gemeinschaftsbasierten Unternehmer:innen - Timo Wans (Myzelium)
Vormittags werden wir uns mit dem Thema gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften beschäftigen. Der Fokus liegt auf der Haltung von transformativen Unternehmer:innen bei der Gründung oder bei der Transformation bestehender Unternehmen.
Im Rahmen des Workshops haben die Teilnehmer:innen die Möglichkeit, mithilfe des MYZELIUM Canvas ihre eigenes gemeinschaftsbasiertes Projekt zu konzipieren.
Am Nachmittag folgt eine ausführliche Q+A-Session zum Thema Haltung und gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften.
Timo Wans ist Wirtschaftssoziologe und Gründer von MYZELIUM. Das MYZELIUM ermöglicht es Unternehmer*innen, solidarisch-gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften groß zu denken! Es wächst schnell & stetig und versorgt die gesamte Bewegung mit Know-how und Innovation.
Einige Menschen im MYZELIUM begleiten gemeinschaftsbasierte Gründungen und die Umstellung bestehender, marktbasierter Organisationen. Andere arbeiten an Strukturen, die ganze Dörfer, Städte und Regionen verändern werden. Diese Menschen begleiten wir mit Wissen und Erfahrung.
Workshop || Ich-in-Bezogenheit: Wie sich durch Alternatives Wirtschaften & Commoning unsere Weltsichten verändern - Sarah Ackerbauer (Commons-Sommerschule)
Wie würde ich leben, wenn ich mich in jedem Moment mit Allem verbunden fühle?
Wenn es die Grundlage meines Handelns ist, Lebendigkeit zu fördern: wie würde ich wirtschaften, welche Werte schöpfen, mit wem in Beziehung sein?
Sarah möchte in diesem Workshop dem Gefühl des Verwoben- und Verwachsenseins nachspüren und einen Raum zum Erleben und Austaschen öffnen.
Sarah Ackerbauer hat gemeinsam mit Silke Helfrich, die vor ungefähr einem Jahr in den Bergen tödlich verunglückte, mehrere Commons-Sommerschulen begleitet und hütet nun mit Johannes Euler und Sigi Preissing diesen ein-wöchigen Erfahrungsraum des Commoning. Sie ist vor kurzem in die Region des Wandels gezogen und lebt dort mit ihren beiden Kindern und ihrem Papa in einem spannenden drinnen-draußen-Wohnexperiment. Ihr Leben ensteht jeden Tag neu aus den Beziehungen, die sie zu sich, zu ihrem Gegenüber und der beseelten Welt erforscht. Sie liebt die sensible Arbeit mit Menschen im Kreis und ist dabei inspiriert von Erfahrungen aus der Wildnis- , der Theaterpädagogik. Sie hat ihre Hände gerne in der Erde und genießt es zusammen mit kleinen und großen Menschen das Lebendige zu erforschen.
Workshop || Suffizienz als psychologisches Konstrukt und warum wir sie für Alternatives Wirtschaften benötigen - Dr. Laura Henn (Uni Kassel)
Text folgt in Kürze.
Workshop || Einführung in die Care-Ökonomie: Zustand und Alternativen - Matthias Neumann (Care Revolution)
Der Workshop führt in die Ausgestaltung der Care-Arbeit in Deutschland ein. Wie teilt sich die Care-Arbeit in unentlohnte und entlohnte Arbeiten auf, wer leistet sie in welchem Rahmen und weshalb sind Sorgearbeitende so häufig überlastet? Und: Könnte es auch anders sein? Es werden die großen Linien dieser Zusammenhänge vorgestellt, insbesondere am Beispiel der Altenpflege illustriert und Transformationsvorschläge aus der Perspektive des Netzwerks Care Revolution zur Diskussion gestellt. Die Teilnehmer*innen sind eingeladen, Erfahrungen aus ihrer beruflichen,familiären oder „ehren“amtlichen Arbeit in die Diskussion einzubringen.
Matthias Neumann ist im Netzwerk Care Revolution und dessen Freiburger Regionalgruppe aktiv. Politisch setzt er sich besonders mit den Rahmenbedingungen der Altenpflege und der Verschränkung von Care- und Klimapolitik auseinander. Außerdem ist er Co-Autor des Buches Solidarische Care-Ökonomie.
Workshop || Konkrete Muster des Commoning aus psychologischer Perspektive - Johannes Euler (Commons-Institut)
Die Mustersprache des Commoning (Helfrich & Bollier 2019) verbindet Theorie- und Erfahrungswissen und bietet Inspiration für immer wieder auftretende Herausforderungen beim Commoning. Dabei ist sie grundsätzlich weder Blaupause noch Rezept und auch niemals komplett oder fertig. Im interaktiven Workshop wird kurz in die Muster des Commoning eingeführt und im Anschluss gemeinsam erarbeitet, wie die Mustersprache verfeinert und erweitert werden kann. Der Fokus liegt dabei auf den psychologischen Perspektiven auf das Inter- und Intrapersonale. Dies geschieht in einem interaktiven Prozess, der auf den Inhalten des Kongresses und den Praxiserfahrungen der Teilnehmenden aufbaut und der nicht zuletzt zum Zusammentragen und Aufbereitung der Kongressergebnisse beitragen kann.
Johannes Euler ist als freier Wissenschaftler, Commons-Aktivist und Berater für sozial-ökologischen Wandel tätig. Er hat Politik, Volkswirtschaftslehre und Philosophie studiert und über Commoning und Wasserkonflikte promoviert. Neben seiner Lehre an verschiedenen Institutionen hat er das Commons-Institut mit begründet.
Workshop || Gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften angewandt - Franziska Stromberg (FranzWerk)
Text folgt in Kürze.
Workshop || Verkörperung, Verdauung und die Ökonomie der Gegenseitigkeit - Sarah Schöne (Akademie für angewandtes gutes Leben)
In diesem Workshop wird ein Raum eröffnet, der einerseits dem Verdauen – heißt Sortieren, Einordnen, Verknüpfen und Kompostieren – der bisherigen Kongresseindrücke dient und andererseits körperlich verankerte Erfahrungen von Paradigmen einer Commons-basierten Ökonomie ermöglicht.
Nach einer Reflektion unserer eigenen Ökonomie von Geben und Empfangen (economy of giving and receiving), kommen wir zur Gegenseitigkeit. Wir können uns nicht anders als in Beziehung auf dieser Erde bewegen – in Bezogenheit mit dem Feld der Schwerkraft, in Bezogenheit mit anderem Leben. Im letzten Teil bringen wir in einem bezeugten Rahmen die Eindrücke der letzten Tage in Bewegung.
Der Workshop beinhaltet Einladungen zur Hinwendung zu den eigenen Körperempfindungen und zu physischem Körperkontakt.
Sarah Schöne lebt in der Gemeinschaft Sonnenwald. Sie ist Gärtnerin, Tänzerin und Seminarleiterin. Ihr Streben nach Lebendigkeit und der Förderung lebensdienlicher Systeme brachte sie zur Akademie für angewandtes gutes Leben, zum Gärtnern, zur Contact Improvisation, zum Body Mind Centering und dem Timeless Wisdom Training. Diese Hintergründe beeinflussen ihre Art den Workshop zu gestalten.
Integration || Community-Slot
Wir arbeiten gemeinsam an der Integration der Inhalte. Du bist eingeladen deine Initiativen, Gruppen, Unternehmen oder Beschäftigungen aus deinem Alltag vorzustellen und wir überlegen gemeinsam, was von den alternativen Wirtschaftskonzepten darauf anwendbar ist.