


57. IPU-Kongress: Naturverbindung und Naturentfremdung: Unterstützung von hochschulpolitischen Veränderungen für die Umweltpsychologie im Umweltschutz
Vom 23. bis 26.09.2021 hat der Kongress bei der Gemeinschaft Sonnenwald in Schernbach im Schwarzwald stattgefunden.
Dieser Kongress wurde mit Mitteln des Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01PM129821 gefördert.

Folgende Workshops haben statt gefunden:
- Authentic Movement in der Natur
- Bewertung von Ökosystemleistungen – Natur entfremden oder Lebensgrundlagen verstehen
- Buen Vivir – das gute Leben
- Erleben was wichtig ist – Naturerfahrung als Resonanzgelegenheit
- James Lovelock’s Gaia Theorie – Die Erde als ein Organismus
- Naturverbundenheit und Umweltkunst
- Natur von Morgen – Naturgang
- Rechtsextremismus und Naturschutz
- Storytelling als Weg der wechselseitigen Beziehung mit der mehr-als-menschlichen Welt
- Tiefe Anpassung – Leben im globalen Kollaps
- Tiefenökologie – Die Konferenz des Lebens
- Weit und wild im Wald
- Welt neu denken – Awe-Erleben im Angesicht von Natur
Hygiene-Konzept
Für ein passendes Hygiene-Konzept war gesorgt. Zwei Wochen vor dem Kongress wurde das aktuelle Konzept per Mail zugeschickt.

Unser Rückblick
Vom 24.-27. September 2021 trafen sich im Rahmen des 57. Kongressses der Initiative Psychologie im Uweltschutz 82 Studierende, Wissenschaftler:innen, Berufspraktiker:innen und an der Umweltpsychologie interessierte Menschen aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Im Rahmen des Kongresses beschäftigten wir uns mit den psychologischen Konstrukten „Naturverbindung“ und „Naturentfremdung“ sowie den sich ergebenden Möglichkeiten für hochschulpolitische Veränderungen im umweltpsychologischen Kontext.
Der inhaltliche Kern des Kongresses wurde anhand der vier nachfolgend erläuterten Formate und mittels sechs Workshop-Phasen gefüllt:
- Inhaltlicher Einstieg in das Thema Umweltpsychologie im Umweltschutz (Keynote, Do. 19:30 Uhr)
- Workshops mit wissenschaftlichem Input und anschließender Möglichkeit für hochschulpolitische Fragen der Teilnehmenden in Bezug zum referierten Kontext
- Workshops mit einem Schwerpunkt auf der hochschulpolitischen Arbeit (Fachschafts- und Gremienarbeit, Studienreformen, Prüfungsordnungen, etc.)
- Offene Formate, welche den Teilnehmenden mehr Gestaltungsspielraum für eigene Ideen und Konzepte in der hochschulpolitischen Arbeit geben sollen
Konkret gab es folgende Überthemen für die einzelnen Workshops und Angebote:
- Keynote: Inhaltlicher Einstieg in das Thema Umweltpsychologie im Umweltschutz
- Workshop-Phase 1 und 2: Naturverbindung und die Umweltpsychologie, Hochschulpolitische Möglichkeitenund Grenzen
- Workshop-Phase 3 und 6: Open Space (selbstorganisiert), Markt der Möglichkeiten (umweltpsychologische Abschlussarbeiten, studentische Forschungsprojekte)
- Workshop-Phase 4 und 5: Naturentfremdung und die Umweltpsychologie, Fachschafts- und Gremienarbeit
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Folgende Referierende aus psychologischen Arbeitsgruppen und interdisziplinären Fachbereichen deutscher Hochschulen leiteten die einzelnen Workshops:
Dr. Armin Aulinger (Umweltchemiker, Helmholtz-Zentrum Geesthacht); Saron Cabero, Ximena Alarcón González & Hermann Kley (Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Baden-Württermberg); Matthias Holzgreve (M.Sc. Regionalentwicklung und Naturschutz, Wiss. Mitarbeiter an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde); Laura Christin Katz (M.Sc. Psychologie, Doktdorandin Arbeitsgruppe Umweltpsychologie, Universität Koblenz Landau); Dr. Gunnar Liedtke (Wiss. Natursport, Universität Hamburg); Sara MacFarland (M.A. Interdisciplinary Arts); Viola Ohly (B.Sc. Psychologie); Claudia Junker (Systemische Beraterin); Hannes Pillsticker (M.Sc. Urbaner Baum- und Waldmanagment); Julian Sagert (M.Sc. Psychologie); Johanna Schlunk (M.Sc. Psychologie); Anika Schmidt (M.Sc. Geographie, Radikalisierungsprävention im Naturschutz – FARN); Christiane Weber (B.Sc. Forstwissenschaft).
Jede Phase setzte sich stets aus kognitiven, handlungsbasierten und emotionalen Annäherungsversuchen zusammen. Dabei wurden hochschulpolitische und inhaltlich wissenschaftliche Aspekte zueinander gebracht. Neben den Workshop-Phasen boten Reflexionsrunden, der Markt der Möglichkeiten, der Open-Space, die Lagerfeuerabende und gemeinsamen Mahlzeiten stets Raum zur Diskussion, zum Austausch und zur Vernetzung. Der Kongress wurde zu einem intensiven Miteinander von Studierenden und Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachrichtungen. Der Großteil der Referierenden nahm das Angebot wahr, die gesamte Kongressdauer vor Ort zu bleiben. Diese besondere Gelegenheit zur Kontaktaufnahme und Themenauseinandersetzung, auch über den Vortrag/Workshop hinaus, wurde von den Studierenden und allen Teilnehmenden besonders wertgeschätzt.
Der Kongressrahmen: Keynote, Abschlussreflexion (Klein- und Großgruppenformat) & Feedback
Eingeleitet wurde der Kongress durch eine Keynote von Sara McFarland und einem inhaltlichen Einstieg in das Thema Umweltpsychologie im Umweltschutz (Do., 19:30 – 22:30 Uhr): Wie lassen sich unsere Erlebnisse in unser soziales Umfeld und unsere Hochschulen hineintragen? Welche Rolle könnte die Methode des Storytellings bei der Vermittlung und Überwindung von Kommunikationshürden übernehmen?
Für Austausch, Feedback und Abschluss der Keynote-Session wurden interaktive Formate sowohl in Groß- als auch Kleingruppen angewandt. Nach dem Frühstück fanden sich die Kongressteilnehmenden hierzu zusammen (Sonntag, 9:45 – 12:45 Uhr). Die Teilnehmenden wurden gebeten, den Kongress Revue passieren zu lassen sowie aufzuschreiben, ob und wenn ja, was sie vom Kongress für sich persönlich und ihr zukünftiges Engagement mitnehmen können. Ferner wurde die Möglichkeit geboten, Fragen in Kleingruppen zu diskutieren, die verschiedenen Phasen des Kongresses zu integrieren, sowie Regionalgruppen und Arbeitskreise zu vernetzen oder gar entstehen zu lassen. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass der Kongress bei vielen Teilnehmenden als besonders motivierend und inspirierend für ihre Arbeit wahrgenommen werden konnte, nachdem derartige Veranstaltungen pandemiebedingt über beinahe 2 Jahre hinweg pausiert wurden.
Workshop-Phase 1 und 2 (Freitag, 9:45-12:45 Uhr und 15:00-18:00 Uhr): Naturverbindung und die Umweltpsychologie, Hochschulpolitische Möglichkeiten und Grenzen
Dr. Armin Aulinger präsentierte die Gaia-Theorie, welche sich zur Annäherung der Begriffe „Naturverbundenheit bzw. -entfremdung“ mit der Frage des Lebens bzw. dessen Gegenteil, dem Leblosen. Lovelock vertritt eine holistische Perspektive der Umweltethik. Den Menschen erkennt er als Teil der Umwelt, die Umwelt gleichermaßen als Teil des Menschen. Gaia bezeichnet die ständige Interaktion von Biosystemen und deren Umwelten. In diesem Sinne bestehe eine existenzielle Verbundenheit zwischen Mensch und Natur (= Umwelt), welche der Mensch einer anthropozentrischen Kultur jedoch nur selten wahrnehme, bspw. erst im Kontakt mit dem eigenen Tod. Julian Sagert näherte sich dem Kongressthema auf handlungsbasierter Ebene an. Nach einem Theorieteil zur Umweltkunst, durften die Teilnehmenden selbst kreativ sein. Aus gefundenen Naturmaterialien schufen sie hierbei eigene Kunstwerke, welche im gemeinsamen Gespräch erläutert wurden. Schließlich bot Christiane Weber einen Themeninput auf emotionaler Ebene an. Im Rahmen einer Wald-Wanderung konnten sich die Teilnehmenden mit allen Sinnen der Natur annähern, kamen in den gegenseitigen Austausch beim Teilen gesammelter Erfahrungen und diskutierten über des Zusammenspiel des Menschen mit anderen, ihn umgebenden, Organismen.
Dr. Gunnar Liedtke bot am Nachmittag den kognitiven Zugang zum Kongressthema und den übergreifenden Leitfragen. Der Sportwissenschaftler betrachtet die Natur als möglichen Resonanzraum, also als Raum zur Kontemplation und Selbstreflexion (insb. eigener Werte). Grundlegend für die Gelegenheit zur Resonanz sei hierbei die Differenzierung zwischen „Naturerfahrung“ und „Naturerleben“. Aus einer anthropozentrischen Umweltperspektive ergibt sich somit ein Vorteil durch Naturverbundenheit für den Menschen selbst. Nach dem theoretischen Input zur Annahme der Resonanzgelegenheit und innerer Werte, konnten die Teilnehmenden selbst einen Ausflug in den nahe gelegenen Wald unternehmen, Natur als Resonanzgelegenheit erkunden und an Selbsterfahrung gewinnen, inwiefern Naturverbundenheit einen Vorteil für den Menschen schafft. Abschließend tauschten sich die Teilnehmenden in Kleingruppen untereinander aus und begannen zu diskutieren. Parallel bot Johanna Schlunk das handlungsbasierte Annäherungsangebot an das Kongressthema. Mittels „authentic movement“ leitete sie die Teilnehmenden zur natürlichen Bewegung ihrer Selbst an und zum natürlichen Kontakt mit ihrer Umwelt (= Naturverbundenheit). Schließlich sei, auch in dieser Workshop-Phase, noch der emotionale Zugang zum Kongressthema zu nennen: „Was geschieht mit/in mir, wenn ich mich mit der Natur verbinde und gleichzeitig erkenne, dass der Mensch seine Umwelt verletzt?“ Mit dieser Frage beschäftigte sich Claudia Junker im Rahmen des thematischen Inputs zur Tiefen Anpassung (engl. Deep Adaptation). Basierend auf den theoretischen Annahmen von Prof. Jem Bendell (University of Cumbria) vertritt das Konzept der Tiefen Anpassung die Annahme, dass mit der Verletzung der Umwelt auch eine Verletzung des menschlichen Lebens einhergeht. Ähnlich einem menschlichen Verlust, durchläuft der Mensch in Anbetracht der weltweiten Umweltkatastrophe verschiedene emotionale Zustände (Trauerreaktionen), um schließlich konstruktiv mit dem globalen Geschehen umgehen zu können. Der theoretische Input wurde begleitet von Gruppen- und Kleingruppenarbeiten, in denen sich nicht nur über die theoretischen Annahmen, sondern auch bzgl. eigener Gefühle (Selbstreflexionsanteil) und daraus entstehender Implikationen für gesellschaftliches Handeln ausgetauscht wurde.
Workshop-Phase 3 und 6: Open Space (selbstorganisiert), Markt der Möglichkeiten (umweltpsychologische Abschlussarbeiten, studentische Forschungsprojekte):
Im Open Space wurden die Teilnehmenden selbst aktiv und konnten eigene Projekte vorstellen, Diskussionsrunden leiten (zum Beispiel über das bereits gehörte oder andere Themenbereiche der Energiewende), bestimmte Fertigkeiten oder Fähigkeiten an andere Teilnehmende weitergeben oder Kampagnen für ihre Hochschulen planen. Im Rahmen des Open Space wurden der Verein der Initiative Psychologie im Umweltschutz und dessen Aktivitäten vorgestellt. Darüber hinaus wurden Studiengänge im Bereich Psychologie und nachhaltige Entwicklungen präsentiert. Hinzu kamen verschiedene Diskussions- und Aktivitätsgruppen, u. a. zum Thema „Wie stelle ich mir eine naturverbundene Schule/Hochschule vor? Wie kann ich mich hochschulpolitisch für die Realisierung meiner Vorstellungen engagieren?“
Auf dem Markt der Möglichkeiten wurden hochschulpolitische Initiativen und Ideen der Teilnehmenden vorgestellt und diskutiert. Desweiteren konnten die Studierenden Feedback zu ihren Ideen und Gestaltungsoptionen erhalten und Diskussionen entstehen lassen.
Workshop-Phase 4 und 5 (Samstag, 9:45-12:45 Uhr und 15:00-18:00 Uhr): Naturentfremdung und die Umweltpsychologie, Fachschafts- und Gremienarbeit
Am Samstagvormittag bot Anika Schmidt von der Beratungsstelle FARN (Radikalisierungsprävention im Naturschutz) einen kognitiven Beitrag. Nach einer Einführung zu Rechtsextremismus im Bereich des Naturschutzes, veranschaulicht anhand einiger konkreter Beispiele, wurden unter den Teilnehmenden verschiedene Diskussionsthemen angeregt (bspw.: „Wie lässt sich der Begriff „Naturverbundenheit“ für mich passend definieren? Welche Risiken bestehen bei Verwendung des Begriffs?“). Abschließend kam es zu einem Austausch unter den Teilnehmenden zum Thema „Handlungsmöglichkeiten: Was kann ich tun, wenn ich rechtsextreme Aussagen/Handlungen im Naturschutz wahrnehme?“ Parallel dazu leitete Saron Cabero mit ihren Kolleg:innen Ximena Alarcón González und Hermann Kley die Vorstellung des philosophischen und kulturellen Gedankens des Guten Lebens, des Buen Vivir, ein. Die Referierenden boten hierbei eine gelungene Kombination aus theoretischem Input, Diskussionsrunden zu verschiedenen Themen in Kleingruppen (bspw. Entwicklungspolitik; Buen Vivir und gesellschaftlicher Wandel) und eigenem Tun. Schließlich rundete der Hermann Kley den theoretischen Input durch einen Bezug zur solidarischen Landwirtschaft (Solawi) ab und bot den Teilnehmenden hierbei einen Diskussionsraum zur Ideensammlung: „Wie kann ich den referierten Inhalt in meinen individuellen und hochschulpolitischen Alltag integrieren? Bietet die solidarische Landwirtschaft für mich eine Möglichkeit zur Integration?“. Zuletzt bot Viola Ohly eine emotionale Themenannäherung an. In ihrem Input ging es um die Definition, die theoretischen Annahmen, Implikationen und Forschungsgrenzen der Naturtherapie. Abschließend unternahmen die Teilnehmenden einen Achtsamkeitsspaziergang und verschriftlichten ihre Erfahrungen, mit welchen sie schließlich in gegenseitigen Austausch kamen.
Den Samstagnachmittag eröffnete Hannes Pillsticker im Rahmen der kognitiven Anbahnung an das Kongressthema. Er diskutierte mit den Teilnehmenden die Vor- und Nachteile einer Quantifizierung und Bewertung von Ökosystemleistungen: „Wenn ich in Zahlen fassen kann, wieviel Kohlenstoffdioxid dieser Baum gerade speichert, führt dies dann dazu, dass sich meine Mitmenschen und ich uns verbunden fühlen mit der Natur?“ Nachdem die Kongressteilnehmenden zuvor vermehrt holistische Betrachtungen der Umweltethik erörtert und verschiedene Zugangsarten zu „Naturverbindung“ bzw. „Naturentfremdung“ erfahren haben, gestaltete sich jene Auseinandersetzung mit einem anthropozentrischen Forschungsansatz als sehr lebhaft. Parallel dazu fand der eher handlungsbasierte Input der Psychologin und Doktorandin Laura Christin Katz zum Thema Awe in Anbetracht von Natur statt. Hierzu erarbeiteten die Teilnehmenden gemeinsam die semantische Definition von Awe, des englischen Wortes für „Ehrfurcht“, und differenzierten das fremdsprachige Wort von der deutschen Übersetzung. Laura Christin Katz stellte anschließend den aktuellen psychologischen Forschungsstand zum Thema dar. Darauf lud sie die Teilnehmenden zur Selbstreflexion und zum Austausch gemachter Erfahrungen von Awe im Naturkontext ein. Schließlich stellte sie sowohl ihr aktuelles Forschungsvorhaben vor als auch bisherige Befunde, deren Limitationen und Implikationen in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen. Den emotionalen Zugang zum Kongressthema ermöglichte Matthias Holzgreve im Rahmen eines Schwellenganges. Der Schwellengang verfolgt erneut die Annahme, die Natur als Resonanzraum, gar Gesprächspartner:in, nutzen zu können. Als Thema gab er den Teilnehmenden folgende Frage mit auf den Weg: „Was ist mein persönlicher Beitrag für die Gesellschaft?“ Abschließend tauschten sie die Schwellengänger:innen untereinander aus und diskutierten über das Potenzial von Naturverbindung und -entfremdung.



